Im Jahr 2015 feierte die Philologische Bibliothek der Freien Universität ihr zehnjähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass vereinte eine Veranstaltungsreihe künstlerische Aktionen und wissenschaftliche Beiträge, um Formen, Praktiken und Qualitäten von Schriftlichkeit im historischen Wandel zu befragen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass der gegenwärtige Umbruch zur digitalen Zeichenpraxis sich als weitreichende Neuorganisation der kulturellen Kommunikation darstellt, die mit dem Versprechen einer medialen Überwindung von Raum, Zeit und Leib einhergeht. Gerade das damit verbundene Phantasma der Körperlosigkeit lässt jedoch Themen wie Authentizität, Präsenz, sinnliche Erfahrung oder individuelle Gestalthaftigkeit auf neue Art und Weise virulent werden. Die digitale Repräsentation schriftlicher Texte als ein Moment im vieldiskutierten Prozess der Dematerialisierung, Entkörperlichung und Virtualisierung lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Qualität der materiellen Präsenz von Schrift. Wie kann das Verhältnis des handgeschriebenen oder gedruckten Textes zu seinem digitalen, vermeintlichen Gegenüber beschrieben werden? Lassen sich an diesem Reibungspunkt die Eigenschaften einer Sicht- und Fühlbarkeit des Schriftlichen neu erfassen?
Die Beziehung von Schrift und Kunst ist ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Beiträge, wobei vor allem die Literatur epochenübergreifend auf den Bezug zu ihrem Medium untersucht wird. Die ästhetische Resonanz von Schriftzeichen wurde und wird immer wieder zum Gegenstand literarischer Reflexion; zu denken ist hier an Formen der exponierten Visualität des schriftlichen Mediums im Zusammenhang avantgardistischer Verfahren, an Experimente mit der Performativität des Schreibens in digitaler und nicht-digitaler Ausführung, in denen der Schreibprozess als (selbst-)gesteuerter Bewegungsvorgang in Erscheinung tritt sowie an Darstellungsweisen der Sinnlichkeit des Schriftlichen (etwa Schreibgeräusche, Schriftbildlichkeit, Haptik des fixierten Schriftzeichens). Nicht zuletzt interessiert das Verhältnis von Schriftmaterial und Semantik, hierbei insbesondere die Grenzgebiete der unlesbaren, der codierten, der korrumpierten Schrift.
Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Aspekte gibt Aufschluss über die Qualitäten digitaler und nicht-digitaler Schriftkultur und die Möglichkeiten der literarischen Auseinandersetzung mit ihnen. Dabei scheint die Beschäftigung mit dem Medium Schrift das Verhältnis von Literatur und bildenden Künsten immer wieder neu zu affizieren. Ebendies zeigt sich an der künstlerischen Arbeit Axel Maliks. Der Künstler präsentierte künstlerische Antworten auf Vortragsinhalte durch wechselnde Installationen. Er eröffnete bei Rundgängen durch die Bibliothek den Dialog und ließ Besucher der Bibliothek an einer Schreibperformance zum Jubiläum der Bibliothek teilhaben. Axel Malik verfolgt seit 1989 in einem täglich weitergetriebenen künstlerischen Projekt die „skripturale Methode“, bei der er lineare Bewegungsspuren als zeichenartige Formen singulärer Gestaltqualität entstehen lässt. In der „The Berlin Brain“ genannten Architektur von Lord Norman Foster eröffnen Maliks künstlerische Arbeiten unter dem Titel „Die Bibliothek der unlesbaren Zeichen“ neue Wahrnehmungsräume des Schreibens und Lesens dadurch, dass die vermeintliche Unlesbarkeit Gegenstand des Nachdenkens wird. Die Bibliothek wird so zum Bezugspunkt und Erfahrungsraum der Reflexion von Schrift und Schreiben im digitalen Zeitalter.