Interviewfragen zur Vorlesung an Cornelia Ortlieb

Aus welchem Anlass heraus beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Schreiben“ und welche Rolle spielen dabei mediale/kulturelle Veränderungen?

Seit den Recherchen für meine Habilitationsschrift Friedrich Heinrich Jacobi und die Philosophie als Schreibart bin ich mit Überlegungen zu Schrift und Schreiben befasst. Dort geht es unter anderem um die Schreibformen von Kritik und Kommentar, wie man sie in den Büchern aus dem Besitz dieses Philosophen und Schriftstellers beispielsweise an Anstreichungen, Randnotizen, handschriftlichen Registern und eingelegten Zetteln beobachten kann. Diese Überlegungen sind also auch Beitrag zu einer Geschichte des Schreibens als Praxis und sie berücksichtigen besonders die materielle Seite solcher Techniken gelehrter Lektüreerschließung, die um 1800, mit dem Beginn des Zeitalters der massenhaften Produktion von Handschriften und Drucktexten, zu Schreibverfahren umfunktioniert werden.
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Wie beurteilen Sie die Bedeutung von Schreib- und Leseszenen im Kontext Ihrer Forschung/Ihres Vortrags?

Das Konzept der Schreibszene ist für meine Überlegungen lange Zeit sehr wichtig gewesen, weil es erlaubt, eine je bestimmte historische Konstellation in (literarischen) Texten zu rekonstruieren und weil es den Blick auf den je einzelnen Schreibakt lenkt, den wir als Leserinnen und Leser nur in seinen Spuren noch vor Augen haben. Die Verbindung von Lesen und Schreiben, beispielsweise im Exzerpieren und Kommentieren, finde ich dabei besonders interessant. In unserem Verbundprojekt im Rahmen des Programms „Die Sprache der Objekte“ untersuchen wir neuerdings auch vermehrt wieder das Lesen als Akt, der von den Objekten der Lektüre, ihrer Medialität und Materialität in gewisser Weise gesteuert wird – in meinem Teilprojekt beispielsweise auch am häufigen Sonderfall beschriebener Dinge, die als komplexe Artefakte andere Formen des Betrachtens und Lesens verlangen als die uns üblicherweise vorliegenden Texte auf Papierseiten oder Bildschirmen.
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Worauf deutet für Sie der Vorlesungstitel „Schreiben als Ereignis“ hin?

Ich verstehe ihn als Bestätigung für die Grundannahme der Schreibforschung, dass das Schreiben sich unter je bestimmten zeitlichen, räumlichen, im weitesten Sinn: kulturellen Bedingungen ereignet, als ein körperlicher Akt, eine Geste, die sich unter Umständen selbst genügt und noch nicht an Prozesse der Textherstellung oder Funktionen von Autorschaft gebunden ist.
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Sehen Sie Verbindungen/Gegensätze zwischen Ihrer Forschung und der „Bibliothek der unlesbaren Zeichen“/der „Skripturalen Methode“?

Ich sehe viele Verbindungen, zumal dort, wo ich mich mit hybriden Formen befasse, also mit Graphemen, die gleichermaßen als Schrift und als Zeichnung betrachtet werden, aber eben nicht unbedingt gelesen werden können/müssen, oder mit der Beziehung von Dingen und Schrift. Und ich finde die Verbindung von räumlicher Begrenzung und zeitlicher Entgrenzung in diesen Schriftkunstwerken sehr faszinierend, natürlich auch ihre ganz eigene Materialität.
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Welche Rolle spielen Objekte/Artefakte in Ihren Überlegungen?

Im bereits erwähnten Forschungsprojekt zur „Sprache der Objekte“ mit dem Dreifachtitel: Parerga und Paratexte. Wie Dinge zur Sprache kommen. Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen untersuche ich zusammen mit einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin solche Dinge aus Goethes Nachlass, die als „Varia“ keine eigene Sammlung, sondern eher ein Sammelsurium bilden, die Fülle der Alltagsgegenstände, Waren und Gaben, die häufig im Zusammenhang mit bestimmten Schriften archiviert wurden oder selbst beschriftet sind – solche ‚beschriebenen Dinge‘ mit literaturwissenschaftlichen Methoden ‚zum Sprechen‘ zu bringen und sich dabei auch kritisch zu dieser Metaphorik vom Sprechen der Dinge/Objekte zu positionieren, ist zumal in unserem interdisziplinären Verbundprojekt sehr spannend.
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Hätten Sie eine persönliche Frage an den Künstler?

Wie jede handwerklich hergestellte Serie, so haben auch die Arbeiten Maliks etwas gleichermaßen Beeindruckendes wie vielleicht auch Unheimliches – man fragt sich unwillkürlich, wieviel an Zwang, Disziplin, Kontrolle und nicht zuletzt physisch harter Arbeit nötig ist, um ein solch beeindruckendes Werk herzustellen und woraus diese Arbeit gespeist wird, was sie antreibt.